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Tragisches Zugunglück in Lebus vom 27.06.1977 01.25
Fehlgeleiteter Bäderzug D1918 Zittau-Stralsund fährt frontal auf Güterzug auf


Gliederung (bitte auf Kapitel klicken) :

  1. Der Hergang
  2. Die Rettungsmaßnahmen
  3. Weiteres
  4. Kommentar eines Eisenbahners

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1. Der Hergang

Aus offizieller Verlautbarung ist bekannt, daß in dieser verhängnisvollen Nacht vom 26. zum 27.06.1977 am Bahnhof Booßen aus Bequemlichkeit und Nachlässigkeit der Weichenwärter H. eine Kette schwerwiegender Pflichtverletzungen beging. Als der wenig später verunglückte Zug an seiner Holzhütte vorbeifuhr, war er eingeschlafen. So kam es zur Fehlleitung des Bäderzuges D1918 Zittau-Stralsund auf die Nebenstrecke Frankfurt/O-Kietz. Der Lokführer des D-Zuges konnte die Fehlleitung nicht erkennen, da sowohl für Hauptstrecke als auch Nebenstrecke dasselbe Signalbild zutrifft.
Wegen fehlendem Streckenblock war der D-Zug nicht mehr aufzuhalten, und die Katastrophe unausweichlich. Am Haltepunkt Lebus stieß der D-Zug frontal mit dem dort aus entgegengesetzter Fahrtrichtung kommenden Güterzug zusammen.
Werner Grund, der Lokführer des Güterzuges leitete, als er einen Zug entgegenkommen sah, noch die Notbremsung ein und sprang von der Lok, er brach sich dabei den Fuß. Der Fahrbegleiter des Güterzuges entschied sich zu spät für den Sprung...
Die ölbeheizte Dampflok des D-Zuges wurde so kräftig von der Diesellok des Güterzuges abgebremst, daß sich der erste D-Zug-Waggon unter den Tender der D-Zug-Lok schob und dabei völlig zusammengedrückt wurde. Der Tender der D-Zug-Lok hob sich dabei hinten in die Höhe und drückte das Führerhaus der D-Zug-Lok ein. Der zweite Waggon des D-Zuges wurde zur Hälfte völlig zusammengeschoben. Durch auslaufendes Öl gerieten die ersten beiden Güterzug-Waggons, die Papierwaren geladen hatten, in Brand.
Durch den fürchterlichen Lärm, den Notbremsung des Güterzuges und Aufprall verursacht hatten, wurden die Lebuser Bürger aus dem Schlaf gerissen. Erste Helfer trafen bald darauf an der Unglücksstelle ein. Im Feuerschein des ausgebrochenen Brandes bot sich ein entsetzlicher Anblick: Trümmer von Loks und Waggons, dichte Rauchschwaden stiegen auf, Menschen schrieen. Bald ertönten die Sirenen. Noch vor dem Eintreffen der Einsatzkräfte begannen Lebuser Bürger mit ihrer Hilfe.

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2. Die Rettungsmaßnahmen

Lebuser Bürger waren die ersten Helfer vor Ort. VP-Leutnant Dieter Zingel leitete die ersten Maßnahmen zur Bergung und Sammlung verletzter und unverletzter Reisender ein. An der Baracke gegenüber vom Bahnübergang wurden die Toten abgelegt.
Schlosser und Feuerwehrmann Paul Zander kümmerte sich zunächst um den Heizer der Dampflok, der noch am Leben, von Hebeln und Handrädern eingequetscht, nicht befreit werden konnte. Dann stieg er, von seinem Schwager mit einer Leiter gesichert, in die Wracks der vorderen Waggons. Er kann kein Leben mehr retten, er zieht nur Tote hervor. Eine Frau, eigeklemmt von Sitzbänken, verstirbt wenig später. Paul Zanders Frau Gisela legte Verletzten Verbände an, sein Sohn fuhr mit dem Moped zum Kulturhaus und löste die Sirene aus.
Bruno Maukwitz, Bauleiter im WBK Frankfurt/O, barg Kinder und Verletzte aus dem zerborstenen zweiten Personenwagen. Die Bürgermeisterin Marianne Hoffmann war ebenfalls zur Stelle. Ihr Mann leistete als Arzt Erste Hilfe. Familie Hübscher, ihr Haus befand sich bei der Unglücksstelle, richtete Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche für die Aufnahme von Verletzten und Reisenden her. Später brachte man sie in das Kulturhaus, wo sie auch verpflegt wurden. Als weitere aktive Helfer sind auch die Familien Lehmann und Müller, Kurt Ullrich und Wolf Gerhard zu nennen.
Bürgermeisterin Marianne Hoffmann schätzte ein: "Wir haben alles getan, was in unseren Kräften stand. Es hatten sich in dieser schweren Stunde alle eingefunden, die in der Lage waren, Leben zu retten und Hilfe zu geben. Die Einwohner, vor allem die Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr, haben die Bewährungsprobe bestanden."
Oberleutnant Richard Giese von der Frankfurter Feuerwehr sorgte dafür, daß das Feuer von den Güterwagen nicht auf die Personenwagen übergriff.
Mitglieder der Rettungsmannschaften von NVA, Sowjet-Armee, Feuerwehr, Polizei, Zivilverteidigung, Reichsbahn, Transportpolizei sowie Ärzte und Schwestern waren im pausenlosen Einsatz.
Gegen 05.00 Uhr waren alle Verletzten geborgen und versorgt. Die schreckliche Bilanz dieser Unglücksnacht wies aber neben 7 stationär behandelten Verletzten auch 29 Menschen auf, die ums Leben kamen. Unter den Toten befanden sich auch das Lokomotivpersonal des D-Zuges und der Fahrbegleiter des Güterzuges.
Eine Regierungskommission unter Leiung von Verkehrsminister Otto Arndt leitete an Ort und Stelle die Rettungs-, Bergungs- und Untersuchungsarbeiten.

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3. Weiteres

Die Bergungsmannschaften beendeten in der Nacht zum 28.06.1977 ihre Arbeiten, so daß die Strecke in den frühen Morgenstunden des 28.06. für den Betrieb freigegeben werden konnte.
Die Schuldfrage war schnell geklärt: Die Signal- und Sicherungsanlagen waren in einwandfreiem Zustand. Der Booßener Weichenwärter hat die augenscheinliche Fahrwegprüfung unterlassen und dem Fahrdienstleiter fernmündlich falsche Angaben über die Stellung der Weichen übermittelt.
Die Beweisaufnahme ergab die alleinige Schuld des Weichenwärters. Im Zeugenstand wurden die aufopferungsvollen Rettungsarbeiten der Bürger von Lebus gewürdigt. Bereits einen Monat später erfolgte die Verurteilung des Weichenwärters zu 5 Jahren Freiheitsentzug und Schadenersatz in gesetzlicher Höhe.
Was die SED-Propaganda verschwieg: Der Sicherheitsstandard am Bahnhof Booßen und auf der Kietzer Strecke befand sich unterhalb des bereits zu Kaisers Zeiten vorhandenen Niveaus (gleiches traf z.B. für Golzow, Gusow, Dolgelin, Kietz, Neuruppin, Seelow, Werbig und Werneuchen zu). U.a. das Booßener und das Lebuser Stellwerk beanspruchte nach 1945 die Besatzungsmacht, beide Stellwerke fielen unter "Demontage" (=Rückbau der Industrie in der Sowjetzone) und wurden als Kriegsbeute in die UdSSR verbracht. In Lebus wurde zwar rückgebaut, aber viele Teile lagen lange beim Stellwerk und verkamen.
Die fehlende Eisenbahnsicherungstechnik in Booßen konnte am 18.12.1979 durch die Inbetriebnahme eines elektromechanischen Stellwerkes mit Lichtsignalen ausgeglichen werden.
Was erklärte damals der Verkehrsminister vor laufenden Kameras ? "Die Sicherungsanlagen arbeiteten einwandfrei".
Und dabei war Lebus keineswegs ein Einzelfall: 06.07.1967 Langenweddingen (97 Tote, darunter viele verbrannte Kinder), Okt.1972 Schweinsburg (21 Tote, 70 Schwerverletzte), August 1973 Reichenbach-Werdau (8 Tote), Oktober 1975 Senftenberg (7 Tote)

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4. Kommentar eines Eisenbahners

Habe mit Interesse Ihren Beitrag gelesen. Die im Punkt 1 und 2 gemachten Ausführungen sind von meiner Warte aus gesehen fachlich und sachlich richtig. Die Ausführungen im Punkt 3 sind für mich die Interessantesten.
Ich selbst war zu dieser Zeit als Fahrdienstleiter tätig. Die Vorgänge haben uns Betriebseisenbahner damals sehr beschäftigt. Die Sicherungsanlagen zu diese Zeit waren noch mehr als mangelhaft. Ein Unfall dieser Art hätte uns jederzeit auch passieren können. Eine Faustregel sagt, dass bei einigen tausend Handlungen durch den Menschen immer mit einer Fehlhandlung zu rechnen ist.
Der Weichenwärter in Boossen war jung, Anfang 20, nachts in einer überheizten Bude, war er eingeschlafen. Von 50 Zugfahrten gingen 49 (Beispielzahlen) geradeaus. Es brauchten in Boossen keine Weichen gestellt zu werden, der Weichenwärter bediente nur das Signal.
Dieser Eilzug benutzte abweichend eine andere Fahrstraße. Der Weichenwärter hätte für diese Fahrt Weichen stellen müssen. In seiner Müdigkeit stellte er wie immer das Signal auf Fahrt und das Unglück nahm seinen Lauf.
Wie üblich, wurde mit uns Betriebseisenbahnern der Unfall ausgewertet. Wie in Ihrem Artikel dargestellt, wurde der Weichenwärter als alleiniger Schuldiger hingestellt. Es gab hitzige Diskussionen. Die Personale des Betriebsdienstes waren empört. Aber so war das damals eben.
Ein zweiter Punkt kommt noch begünstigend hinzu. Das Lokpersonal des Eilzuges war neu auf dieser Strecke. Bei der Eisenbahn ist es Pflicht, bevor ein Lokführer eine Strecke befahren darf, muß er diese drei mal befahren haben und davon einmal mindestens in der Nacht. Diese Bedingung war erfüllt. Es war die erste Alleinfahrt des Lokführers auf dieser Strecke, und das gleich als Nachtfahrt. Er merkte in Boossen gar nicht, dass er auf ein falsches Streckengleis geleitet wurde. Ein erfahrener Lokführer hätte natürlich sofort reagiert.
Das waren jetzt persönliche Erinnerungen zu diesem Vorfall.
Der Weichenwärter aus Boossen ist mir persönlich bekannt. Er ist heute noch (2007) im Eisenbahndienst tätig.
Es gibt noch eine Erinnerung vom Lokführer Werner Grund, festgehalten im Buch "Eisenbahnknoten Frankfurt/Oder".

 

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